Das statistische Bundesamt teilte am 9.7. die wesentlichen Ergebnisse der EU-SILC-Studie 2006 mit. Hiernach liegt die Armutsbetroffenheit in der Europäischen Union bei 16 % – und damit 3 % höher als in Deutschland. Ist Deutschland also „doch nicht so arm dran“, wie z. B. die TAZ daraufhin titelte? Hier ist große Vorsicht geboten, denn neben der umstrittenen Datenbasis der EU SILC-Statistik (s. div. Blogbeiträge im Rahmen des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts) bildet Deutschland das Schlusslicht bei der Höhe der Armutsgrenze im Vergleich der westlichen Industriestaaten: Nach der EU SILC-Statistik liegt die Armutsgrenze in Deutschland bei 9.370 Euro jährlich – in Luxemburg dagegen bei 17.808 Euro – fast doppelt hoch! Durchgängig in allen EU-Ländern erhöht Arbeitslosigkeit die Armutsgefährdung.
Archiv der Kategorie: Daten + Fakten
Jede/r vierte Berliner/in hat einen Migrationshintergrund
Wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg in seiner aktuellen Zeitschrift darstellt, hat jede/r vierte Berliner/in einen Migrationshintergrund. Hierunter zählt das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Ausländer/innen, eingebürgerte/r Deutsche, (Spät-) Aussiedler/innen und Nachkommen von Eltern mit Migrationshintergrund. Bisher wurde ein eventueller Migrationshintergrund nicht statistisch erfasst. Nach den jüngsten Zahlen leben in Berlin ca. 470.000 Ausländer/innen (14,0 Prozent) und ca. 393.500 Deutsche mit Migrationshintergrund (11,7 Prozent). Die Einkommensverhältnisse sind in der Publikation nicht dargestellt.
Link zur Zeitschrift für amtliche Statistik BB
Regierung hantiert mit alten Zahlen zur Kinderarmut
Im Dezember 2007 hat „Die Linke“ eine Große Anfrage zum Thema Kinderarmut gestellt. Wie die Taz heute berichtet, liegt nun die Antwort der Bundesregierung vor. Auf die Frage, warum im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht das Ausmaß von Kinderarmut in Deutschland mit 12 % angegeben wird, obwohl das zuständige Ministerium unter Frau von der Leyen längst aktuellere Zahlen vorgelegt hat, die 16-17 % Armutsbetroffenheit benennen, wird auf die nötige internationale Vergleichbarkeit verwiesen, die schon als Argument für die unterschiedlichen Daten zur Armutsbetroffenheit in Deutschland insgesamt herhalten musste (13 % statt 18 %, siehe Meldung vom 20.5.08). Wenn die alternativen Daten ein geringeres Ausmaß von Armut ergeben würden, wie hätte sich die Regierung in diesem Fall wohl entschieden??? Zur Armutsbetroffenheit von Kindern aus Einwandererfamilien konnte die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage lt. Taz keine Angaben machen. Dabei habe auch hier das Familienministerium längst Zahlen vorgelegt, nach denen die Armutsrisikoquote dieser Gruppe bei rund 30 % liegt. Sicher ist sich die Regierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage jedoch, dass die Regelsätze für Kinder beim Alg II ausreichend seien…
Neues nach der EM
Die Fußballeuropameisterschaft ist vorbei. Der neue Regelsatz beim Arbeitslosengeld II kommt – ab heute erhält der Haushaltsvorstand 351 Euro statt wie zuvor 347 Euro. Auch die vom Regelsatz des Haushaltvorstandes abgeleiteten Regelsätze für Angehörige erhöhen sich entsprechend. Die Erhöhung beträgt 1,1 % – gekoppelt an die Rentenerhöhung. Angesichts einer Inflation letztes Jahr von 2,3 % wird aus der Erhöhung ein Verlust von 1,2 %. Also auch hier nicht wirklich ein Grund zu feiern.
Gleichzeitig wird das Wohngeld zum 1. Januar 2009 im Durchschnitt um zwei Drittel auf 150 Euro monatlich erhöht. Das beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin.
Mehr Eltern als zuvor können den Kinderzuschlag erhalten, an der maximalen Höhe von 140 Euro ändert sich aber nichts.
Armuts- und Reichtumsbericht verabschiedet
Gestern hat das Kabinett den 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verabschiedet (zum Entwurf siehe diverse Beiträge, z. B. vom 23.5.08 und 27.5.08). Die Fakten sind natürlich unverändert, aber offenbar sind sie umgedeutet und anders bewertet worden als im Entwurf. So berichtet die FR heute, dass Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) die vorgenommenen Veränderungen lobt. Anders sehen das die Wohlfahrtsverbände, so habe die Koalition lt. Caritasverband nicht zwischen sachlicher Analyse und politischer Wertung trennen können, der Sozialverband Deutschland bemängelt, der Bericht habe die Auswirkungen jahrelangen „Sozialabbaus“ ausgeblendet.
Der Kommentar von Monika Kappus, ebenfalls FR, ist da noch deutlicher: Die Regierung habe es geschafft, Gegensätze zwischen Schwarz und Rot zuzuschmieren. So weichgespült, wie der Armutsbericht dank der Intervention von Unions-Wirtschaftsminister Glos sei, tauge er nicht zur Handlungsanweisung. Der Armutsbericht sei vor allem eins: ein Armutszeugnis in Schwarz-Rot.
AusländerInnen sind die Verlierer beim Thema Armut
Auf Spiegel.de ist aktuell ein Artikel über eine vom Chef des Bonner Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Meinhard Miegel, vorgelegte Studie zum Thema Armut zu lesen. Darin komme Miegel zu dem Schluss, dass die zunehmend ungleiche Verteilung der Einkommen in Deutschland kein Problem der Mittelschicht sei – die Chance auf Wohlstand hänge vielmehr entscheidend davon ab, ob man in eine deutsche Familie geboren sei. Eine weitere Risikogruppe seien Alleinerziehende.
Nun ist es seit Jahren bekannt, dass Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Menschen mit Migrationshintergrund sowie Nichtdeutsche besonders stark von Armut betroffen sind. Miegel wende sich mit seiner Studie aber gleichzeitig gegen die „massenhafte Angst der Deutschen vorm sozialen Abstieg“. Vor allem die Mittelschicht sei nicht in dem Ausmaß betroffen wie zz. überall kolportiert und es gebe auch genügend „Gewinner“, so seien 2,1 Mio. Menschen 2006 in die „Liga der Topverdiener“ aufgestiegen – überwiegend sind dies deutschstämmige Familien und über 64-Jährige.
Kinderschutzchef zum Thema Kinderarmut im Interview
In der TAZ von gestern äußert sich der Präsident des Kinderschutzbundes zu den Vorschlägen der SPD und CDU zum Thema Kinderarmut (s. a. die letzten Blogmeldungen zum Thema). Er wendet sich gegen die gekürzten Regelsätze für Kinder beim Arbeitslosengeld II, da diese willkürlich festgesetzt worden seien. Im Gegensatz dazu fordert er eine Grundsicherung für Kinder in Höhe von run d 400 Euro pro Kind – und zwar für alle Kinder – ob arm oder reich. Dies würde auch das gegenwärtige Kindergeld überflüssig machen.
Plan gegen Kinderarmut der CDU
Nach dem Aktionsplan der SPD gegen Kinderarmut (s. Meldung vom 11. Juni) hat nun auch die CDU ihre Pläne zum Thema vorgestellt. Ihre Vorschläge: Frühzeitig fördern – mehr Bildung für alle (u. a. verbindliche Sprachtests für alle Kinder im Alter von vier Jahren), Familien stärken – Chancen für Kinder (u. a. mehr Kindergeld und die Ausweitung der Betreuungsplätze). Daneben steht die CDU auch weiterhin für die „Heim+Herd-Prämie“, so kündigt sie an, ab 2013 ein Betreuungsgeld für diejenigen einzuführen, „die sich zuhause um ihre Kinder kümmern“.
Bildung schützt vor Armut nicht
In einem Beitrag in der heutigen Frankfurter Rundschau stellt der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge etwas provokant fest: „Bildung schützt vor Armut nicht“. Dabei stellt er nicht infrage, dass Bildung wichtig ist, sondern wendet sich gegen die „Pädagogisierung der Armut“ und die „Mythologisierung der Bildung“, wenn dies in Form „leerer Bildungsversprechen“ und „illusionärer Aufstiegshoffnungen“ passiert. „Geld ist weiß Gott nicht alles, aber ohne Geld sind die meisten kulturellen und Bildungsambitionen nicht viel wert!“ – und so fordert Butterwegge in seinem Beitrag zunächst und vor allem, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten und damit hilfebedürftigen Familien ihren Lebensunterhalt zu sichern – und zwar auf einem anderen Niveau als heute, wo für Bildung 0 Cent und für Kindernahrung völlig unzureichende Sätze vorgesehen sind.
Blauer Brief für Kultusminister
In der Ausgabe vom 05. Juni berichtet die Zeit exklusiv über eine unveröffentlichte Studie von Bildungsforschern (deren Ergebnisse den Auftraggebern, nämlich den Kultusministern von Bund und Ländern, offenbar nicht gefallen). Die Forscher fordern vor allem die systematische Förderung der leistungsschwächsten SchülerInnen und kritisieren dabei auch die fehlende Kontrolle, ob das Bundesprogramm für die Errichtung neuer Ganztagsschulen überhaupt die sogenannten RisikoschülerInnen erreicht. Hilfe für diese Zielgruppe sei „breit und unspezifisch“ – jeder Fünfte der deutschen NeuntklässlerInnen gehört zu den „Zukunftslosen“. Sie regen daher ein „Bildungsminimum“ an, das von niemandem verfehlt werden darf. Es bleibt abzuwarten, ob diese Studie letztendlich für den Papierkorb durchgeführt wurde oder die Kultusminister doch noch die „Mahnungen“ der Bildungsforscher zur Kenntnis nehmen.